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Praxisfall zum Leitprozess Resonanz.

Das Nähe-Bedürfnis im Führungskontext


Anliegen des Kunden: Kontaktqualität


Als Frau Huber zu mir in die Praxis kommt, bin ich überrascht wie offen und spürbar sie auf mich wirkt. Sie ist 45 Jahre alt, mittelgroß, blond, schlank und erfolgreich in der Medienbranche.


So schön sich diese Beschreibung auch lesen mag, genauso schwer trägt Frau Huber an dem Wunsch mit Menschen eine andere Ebene der Begegnung zu erreichen. Dazu gehört eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Mitarbeitern, ebenso wie der Wunsch nach einem verlässlichen Partner. Beides scheint ihr immer weniger zu gelingen. Die Mitar- beiter gehen ihr so gut es geht aus dem Weg und ihre privaten Beziehungen scheitern reihenweise.


Eine neue Führungsposition mit erweiterter Mitarbeiterverantwortung erhöht nun den Druck und sie beschließt sich einem Coach anzuvertrauen.

Auftragsklärung:


In den ersten Gesprächen fällt bereits auf, dass es Frau Huber schwer fällt die eigenen Bedürfnisse zu beschreiben. Da ihr wesentlicher Bearbeitungsstil zur Lösung von Problemen im Denken und Reden liegt, fokussiere ich mich in den ersten Stunden auf ihr Beziehungsverhalten in den Coachingstunden. Hinter der von mir zunächst als offen und wahrnehmbar empfundene Art, verbirgt sich hohe Professionalität, welche auch mich als Coach gefällig und freundlich deutlich auf Abstand hält. Meine Resonanz darauf besteht darin, ungewollt immer wieder innerlich zurück- zuweichen. Ich mache meine Reaktion auf sie offen. Daraus ergibt sich ihr Wunsch, den Fokus der Beratung auf ihre Nähe/Distanz-Regulation im privaten Leben wie im beruflichen Kontext zu legen.

Beratungsverlauf:


Frau Huber berichtet, dass sie immer wieder in ihren Beziehungen unzufrieden wird, weil sie die gewünschte Aufmerksamkeit und Zuneigung nicht bekommt. Wir erarbeiten, dass sie über äußeren Faktoren wie Firmenzuge- hörigkeit, Bewunderung und Lebensstil dies auszugleichen versucht. Durch ihr Elternhaus hat sie früh gelernt, dass gesellschaftlicher und sozialer Status Sicherheit in der Anerkennung und damit die Zuneigung anderer verschafft. Dieses System hat sie für sich perfektioniert und speist daraus ihr Bindungsbedürfnis, ihr Bedürfnis nach Selbstbestimmung und auch Selbstachtung. Ihr wird bewusst, dass sie damit die gewünschte Zuneigung aber eher verhindert. Sie wird so für andere glatt und unerreichbar. Ihre eigene Bedürftigkeit drückt sie weder im Arbeitsumfeld noch im Privaten aus.


Ein wichtiger Teil meiner Arbeit mit Frau Huber bezieht sich daraufhin auf das Bewusst-machen und Verstehen gel- ernter Resonanzmuster und Gewohnheiten. Was berührt sie bei anderen? Wodurch versucht sie sich bei anderen attraktiv zu machen? Welche Signale nach Kontakt mit ihr lässt sie außer Acht? Wer sind die Menschen, die wirklich zu ihr vordringen dürfen? Wo unterbricht sie den Kontakt zu mir? Wo werden zarte, verletzliche Seiten in den Coach- inggesprächen zumindest momentweise aktiviert?

Frau Huber wird während ihren Erzählungen klar, dass sie keine Unterscheidung zwischen ihrer Rolle als Privat- und ihrer Rolle als Führungskraft macht. Auch ihre privaten Beziehungen kreisen mal mehr, mal weniger um den Job und bewegen sich selten aus der gewohnten und vermeintlichen Sicherheit heraus. Auffällig ist auch, dass sie meist zwischen hoher Anpassung und Überhöhung Anderer „das ist eine ganz ganz wundervolle Frau, mit einem Wahnsinns-Job und einer ganz großartigen Familie ...“ sowie unverhältnismäßiger Abwertung „ne, ne, also so jemanden kenn ich gar nicht, not my cup of tea“ hin und her agiert. Beide Pole wirken sich kontaktschädigend aus. Dies wird Frau Huber zunehmend bewusster. Sie bekommt eine Ahnung, wie wichtig es ist, selbst „ins Spiel zu kommen“.


Als sich mit den eigenen Anliegen im Kontakt mit anderen beschäftigt, zeigt sich, wie schwer sie sich tut, eigene Impulse diesbezüglich überhaupt zu formulieren. Frau Huber wird bewusst, wie problematisch sich dies in den Mi- tarbeiterkontakten auswirkt. Klare Kommunikation von Erwartungen, klare Zielvorgaben und eindeutige Leis- tungsüberprüfung wird so fast unmöglich. Der Zusammenhang zwischen ihren inneren Mustern und dem täglichen Führungsstil steht ihr klar vor Augen.

Beratungsergebnis:

Frau Huber kann keine für sich selbst spürbare innere Haltung formulieren, die eine eigene Identität zulassen würde. Es wird offensichtlich, dass die eigene Identität eine wichtige Voraussetzung für ihre neue Position ist. Sie hält daran fest, dass sie damit bisher ganz gut durch kam, kann aber nachvollziehen, dass sie immer wieder unnahbar und kon- taktlos wirkt und somit an Vertrauen und Sicherheit für sich selbst einbüßt.

Das wiederum frustriert auch unmittelbar das Vertrauen bei Mitarbeitern sowie privaten Begegnungen. Die Rolle als Vertrauens- und Respektsperson, die sie gerne für ihre Mitarbeiter wäre, wird sie nicht ausfüllen können.

So wird ihr deutlich, dass sie an sich als Person, an ihren Ängsten vor Kontakt und dem Ausweichen von fragilen Gefühlszuständen arbeiten muss, sofern sie die Führungsrolle wirklich ausfüllen möchte. Sie beginnt unter der kon- taktlosen und damit kränkenden Begegnungsform gegenüber den Mitarbeitern selbst zu leiden. In den Coaching- stunden lernte sie wieder zu spüren, was es heißt selbst resonanzfähig zu sein. Das ist die Voraussetzung auch wieder zwischen der Führungskraft und der Privatperson innerlich zu unterscheiden.

Theoretische Einordnung


Aus metatheoretischer Sicht hat Frau Huber früh im Leben keine Resonanz auf sich bekommen. So hat sie gelernt darauf zu verzichten und sich einer Scheinidentität hinzugeben. Das hat über Jahre ihr Leben stabilisiert und dafür gesorgt, dass es ihr mehr oder minder gut ging. Sie konzentrierte sich auf ihre berufliche Laufbahn, ohne wirklich etwas von sich selbst Preis geben zu müssen. Das hat zwar funktioniert, aber zu keiner wirklichen Bedürfnis-Be- friedigung geführt. Durch den Karrieresprung muss Frau Huber nun aus ihrer Komfortzone heraus und für Mitar- beiter aber auch andere Führungskräfte im Unternehmen lesbar werden und Positionen beziehen. Dazu kommt, dass sie ihr Bedürfnis nach echtem Kontakt immer stärker wahrnimmt.

Damit sie Kontaktfähigkeit entwickeln kann, braucht sie ein authentisches Gegenüber, das im Coaching nicht auf die Pseudoidentität „hereinfällt, sondern von Moment zu Moment echte Bezogenheit kultiviert. So kann in ihr nach und nach die Selbstwahrnehmungskraft wieder entstehen, die zum Ausdrücken und Verfolgen eigener echter Ziele und Impulse als Führungskraft unabdingbar ist.

Leitprozess Resonanz


Resonanz ist einer der acht Leitprozesse der Psychodynamik. Die Entscheidung, die jeder einzelne im Verhältnis zu seiner Umwelt zu treffen hat, besteht in der Frage: „Worauf reagiere ich (nicht)?“.


Jeder Mensch muss aus einer unendlichen Fülle auswählen, auf was er in sich und in der Welt achten möchte. Denn man kann nicht auf alles reagieren. Das dient der Reduktion von Komplexität – und der Absorption von Unsicherheit. Insofern muss man das meiste ignorieren. Der damit zusammenhängende Auswahlprozess kann natürlich nur punktuell bewusst stattfinden. Daher entwickelt jeder Mensch Muster, Gewohnheiten sowie affektive und kognitive Erwartungen (Bezugsrahmen, Schemata). Sie filtern, worauf man wie reagiert, welche Bedeutungen man bes- timmten Ereignissen gibt und was man erst gar nicht zur Kenntnis nimmt. Diese Resonanzmuster sind erworben und damit auch veränderbar. Sie können durchaus dysfunktional werden, wenn z.B. bestimmte Informationen gewohnheitsmäßig ignoriert werden. Die eigenen Muster und Gewohnheiten bewusst zu erleben und zu reflektieren, eröffnet daher einen wesentlichen Zugang zu Veränderungsmöglichkeiten.



Disclaimer:

Um unsere Klienten und Kunden zu schützen und ihre Privatsphäre zu wahren, werden an dieser Stelle keine echten Namen verwendet und auf Bezeichnungen von Unternehmen und Branchen verzichtet. Die Fälle sind jedoch real und haben sich so zugespielt.


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