Auch Politiker brauchen Coaching
- Franziska Dannecker-Scharf
- 22. März 2023
- 6 Min. Lesezeit
PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG. Wer Politiker wird und sich möglichst lange behaupten will, legt sich in der Regel ein „dickes Fell“ zu. Doch das ersetzt keine kontinuierliche Selbstreflexion. So scheitern viele Politiker im Laufe der Jahre an sich selbst. In diesem Fachartikel geht es um die Frage, warum gerade in der Politik ein Coaching, das sich um Persönlichkeitsentwicklung kümmert, keine große Rolle zu spielen scheint.
Die Politik hat ihre eigenen Regeln und Besonderheiten, die man als Politiker kennen, verinnerlichen und lieben muss. Wer sich also nicht bereits in jungen Jahren in einem Ortsverband engagiert und der berühmten „Ochsentour“ stellt, wird sich später schwertun, in der Politik Fuß zu fassen. Der Weg an sich ist ein großer Teil des Ziels.
Nicht zuletzt führt ein langandauerndes Engagement zu dem benötigten Netzwerk, um in einer Partei weiterzukommen. Interessant ist, dass erfolgreiche Politiker meistens sehr dynamische „Antreiber“ in sich tragen, die sowohl für ihren Erfolg und gleichermaßen auch für ihr Scheitern verantwortlich gemacht werden können.
Psychodynamische Erkenntnisse der Persönlichkeitsentwicklung auf deutsche Politiker anzuwenden, ist nicht üblich. Die Arbeit mit Projektion, Resonanz und Unbewusstem wird in der Politik oftmals noch gemieden – sollte aber wesentlich konsequenter genutzt werden. Das würde nicht nur dem Einzelnen und seiner Karriere helfen, sondern auch dem innerparteilichen Miteinander. Rationales wäre dann viel leichter von Irrationalem zu trennen.
Auf der Basis psychodynamischer Coaching-Methoden könnte erreicht werden, dass Politiker nachhaltige Veränderungen im Verhalten zeigen. Ein Bewusstsein für die inneren Abläufe und ihr Zusammenspiel würde Fehlentscheidungen sicherlich verringern.
Politiker zu sein, ist kein einfacher Rollenwechsel zwischen privater und öffentlicher Person. Es gibt den „Politiker“ im Grunde nicht wirklich privat. Das Wachsen, Werden und Sein in einer Rolle, die die Öffentlichkeit in besonderer Weise wahrnehmen soll, verschluckt die Empfindungen und Merkmale der Privatperson. Es ist ein langsamer und schleichender Prozess, der nahezu alle Politiker in verschiedenartigen Kontexten einholt. Die Vermischung beider Gestalten ist kein Einzelschicksal. Tagtäglich geben Berater Politikern den Tipp, Rolle und Mensch nicht zu verwechseln. Dieser Rat ist allerdings genauso hilfreich wie der Ratschlag „sei doch kreativ". So etwas lässt sich über einen gut gemeinten Apell nicht bewerkstelligen. Vielmehr braucht der Politiker ein gut geschultes Gegenüber – ganz ohne eigene Agenda. Er braucht einen wachsamen Coach oder Persönlichkeitsentwickler, der sich aus- schließlich auf die Signale seines Klienten konzentriert und dort Antworten gibt, wo das psychische System des Politikers blockiert ist und keine aufschlussreichen Erkenntnisse mehr liefert. Dazu ein paar Praxisbeispiele:
Emotionaler Erschöpfung begegnen Der Kommunalpolitiker Markus Müller hat in letzter Zeit gefühlt Hunderte von regionalen Veranstaltungen besucht und sehr viele Hände geschüttelt. Seinem Wahlkampfteam beteuert er, dass man ihn im Wahlkreis sehr gut kenne und er sich nun anderen Themen widmen könne. Er möchte mehr inhaltlich arbeiten und nicht jeden Abend unterwegs sein müssen. Sein erfahrenes Team versucht ihm den Filterblick bezüglich der eigenen Bekanntheit zu nehmen und mit den Konsequenzen seines Rückzugs zu konfrontieren – was bei ihm sofort starken Widerstand auslöst.
Gefühle der Minderwertigkeit bearbeiten Martin Maier ist über die Liste in das Europaparlament gewählt worden. In seinem Fachgebiet ist er kompetent und in seiner Heimat auch erfolgreich. Unglücklich ist er über einen unvermeidbaren Umzug nach Brüssel – zumal seine Familie in der Heimat bleibt und er nur wenig Englisch spricht. Ihm werden Übersetzer zur Seite gestellt. In Brüssel kommt er jedoch täglich mit seinen Minderwertigkeitsgefühlen in Berührung. Er fühlt sich den Anforderungen nicht gewachsen. Der innere Konflikt frisst ihn auf. Er überlegt, sich aus Brüssel zurückzuziehen, kann aber mit den Konsequenzen momentan noch nicht gut leben.
Stärke zeigen ist nicht einfach Hans Huber wirft seinen Hut in den Ring. Der studierte Architekt möchte sich noch mehr für die Stadt, in der er wohnt, ein- setzen und ein offizielles Amt bekleiden. Sein empfindsames Gespür macht ihn zu einem guten Zuhörer und authentischem Gegenüber. Er ist smart und in der Sache präzise, was auf große Zustimmung bei den Wählern stößt. Je erfolgreicher er beim Stimmenfang im Wahlkreis wird, desto mehr wird er von Parteifreunden und erst recht von seinen Gegnern trick- reich bekämpft. Vermehrt greift er zu Alkohol, um sein Nervensystem zu stabilisieren und den Alltag durchzustehen.
Aus der Wirtschaft in die Politik Ein sehr erfolgreicher Manager aus dem Wirtschaftsleben wird gebeten sein Fach- wissen als Bundesminister in die nationale Politik einzubringen. Während sich der Neu-Politiker voller Tatendrang auf die inhaltlichen Herausforderungen stürzt und diese bearbeitet, wetzen im Hintergrund nicht nur politische Gegner bereits mit großer Freude die Messer. Bevor er überhaupt sein Konzept vollständig vor- stellen kann, stolpert er medienwirksam über den ersten politischen Stein, den man ihm in den Weg legt.
Wenn Haltung zum Starrsinn wird Walter Weichert ist seit 30 Jahren Politiker und wird nicht zuletzt wegen seiner überlegen wirkenden Standfestigkeit und dem eisernen Willen die Dinge durchzusetzen, gewählt und verehrt. Bereits als junger Kommunalpolitiker eilte ihm der Ruf „sich auch in schwierigen Situationen nicht weg zu ducken“ voraus. Durch negative Rückmeldungen ließ er sich nicht beirren, verfolgte seinen Plan auch gegen Widerstände so lange, bis er schlussendlich Erfolg hatte. Unreflektiert und harsch im Umgang mit seiner eigenen Person und der nächsten Umgebung feierte er Er- folge und ignorierte die nötige Aufarbeitung von Misserfolgen beflissentlich. Es kam der Tag und die Stunde, an dem eine Problemstellung in der Bearbeitung mehr Flexibilität, Feingefühl und Aufmerksamkeit benötigt hätte. Instinktiv meinte er eine mögliche Gefahr zu wittern und schützte sich wie gelernt mit vermeintlicher Haltung und regider Härte. Er verfiel in bockiges Miteinander und verstieg sich in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Ab einem gewissen Punkt gab es kein zurück mehr. Im Gegensatz zum starrsinnigen Verhalten, war der Sachverhalt bei den Wählern schnell vergessen und unwichtig. Die Rücktrittsforderungen aller Seiten wurden lauter, seine früheren Erfolge scheinbar vergessen. Weichert musste zurücktreten. Der Rücktritt war bitter und wurde weder sei- ner Person noch seinen früheren Erfolgen gerecht.
Der politische Alltag
Diese Beispiele geben einen kleinen Ein- blick in den politischen Alltag. Das Ge- schilderte beschreibt menschliches Verhalten unter Druck, das den Charakter inneren und äußeren Zwangs aufweist: Widerstand, Stagnation, Suchtkompensation, Kränkung und Scham. Raubbau an Körper und Geist sind keine seltenen Nebenerscheinungen nach jahrelangem Politikerleben. Permanenter Terminstress, tagtägliche Angriffe oder Kränkungen und die Belastung, immer wieder falsch interpretiert, zitiert und kommentiert zu werden, hinterlassen Spuren in der menschlichen Seele. Abschottung und das Abspalten von inneren Gefühlen sind im politischen Alltag zunächst hoch wirksam und führen gleichzeitig aber das Unheil mit sich, die eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse der nächsten Umgebung nicht mehr richtig wahrzunehmen. Die Negativ-Spirale setzt sich in Gang. Diese innere Verkapselung und die äußere Abarbeitung gilt es als Coach zu dechiffrieren und ins Bewusstsein der Selbstwahrnehmung zurückzubringen. Denn die Ergebnisse von Abspaltung und Isolation beschädigen immer Amt, Person sowie Umfeld und damit unsere Gesellschaft gleichermaßen. Voraussetzungen für einen wirksamen Coaching-Prozess:
Vertrauen Der Coach eines Politikers ist die engste Vertrauensperson mit höchster Vertraulichkeitsstufe. Er erarbeitet mit dem Klienten alle notwendigen Schritte, um unbewusste Stolpersteine zu verhindern. Wichtig ist, ein Umfeld zu schaffen, auch schwierige Aspekte der Persönlichkeit besprechen zu können, ohne zu verurteilen. Nach außen zu Schweigen, ist in jeder Hinsicht Pflicht und gilt ein Leben lang.
Unabhängigkeit Der Coach sollte unabhängig genug sein, den Vertrag zu kündigen, wenn er keinen echten Kontakt mit dem Klienten herstellen kann. Das kann zu Beginn und auch während des Prozesses passieren – muss dann aber vom Coach beim Klienten angesprochen und gut thematisiert werden.
Kommunikation mit dem Team Das Team (dazu kann auch die Familie gehören) gehört immer auch zur Gesamtkommunikation und sollte an den wichtigen Stellen mit einbezogen werden. Inwieweit und wer – das wird immer in Absprache mit dem Klienten durchgeführt.
Keine vorschnellen Interventionen Vorschnelle innere Konzepte legen die Strategie falsch fest. Die meisten Themen, die sich einem Coach in den ersten Tagen aufdrängen, haben meist mit der eigenen Vorkenntnis und Erfahrung zu tun und weniger mit dem zu beobachtenden Klienten-System. Hier sollte man immer auch der eigenen Wahrnehmung neutral begegnen und offen bleiben. Sätzen wie „So ist es!“ sollte man per se misstrauisch gegenüberstehen. Sie sind die Irrlichter am Firmament.
Veränderung findet ständig statt – Entwicklung auch Der Coach geht in seiner Beobachtung davon aus, dass alles im Leben fließt und seinen Weg findet. Stagniert etwas oder wird etwas als Problem empfunden, fragt der Coach weniger nach der schnellen Lösung, sondern vielmehr nach dem Grund des Stillstands. Warum wird etwas wie verhindert? Welches innere Konzept oder Muster liegt dem psychischen System zugrunde? Im Beispiel Huber wird der Coach nicht den Alkohol thematisieren, sondern das dahinterliegende Bedürfnis konsequent bearbeiten.
Resonanz und Kontakt Der Coach ist im Ideal geschulter Resonanzkörper und versteht sich zu jeder Minute als Anwalt des Klienten. Er macht sich selbst nicht groß und behält Demut vor dem Gegenüber. Ein Berater ist nur dann wirklich gut, wenn er die Augen- höhe hält und auch unter schwierigen Umständen im guten Kontakt bleibt.
Fazit: Coaching und Persönlichkeitsentwicklung ist in politischen Strukturen ebenso wichtig wie in der Wirtschaft. Gerade die großen politischen und inhaltlich sehr komplexen Herausforderungen gehen an die Grenzen der menschlichen Substanz und müssen aufgearbeitet, reflektiert und gut besprochen werden. Der Politiker egal welcher Couleur und egal welchen Alters braucht die Chance, in einen Spiegel zu sehen und sich selbst darin erkennen zu dürfen.
Franziska Dannecker-Scharf



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