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»Mann, bin ich gut!« – Die Not narzisstischer Manager

Der Hang moderner Menschen zu einer überzogenen Selbstdarstellung hat das Wirtschaftsleben erreicht. Narzisstische Manager können sich gut verkaufen, sie scheitern aber, weil sie Kritik nicht zulassen und Misserfolge leugnen, statt aus ihnen zu lernen. Was Narzissten sind und wie man ihnen mit Coaching helfen kann, ist das Thema einer neuen, dreiteiligen w&w-Serie.


Narzissmus ist ein psychologischer Begriff. Relevant in der Welt von Psychotherapeuten und Ärzten, aber bedeutsam im Wirtschaftskontext? Wie sollte sich Narzissmus auf Umsatz und Cashflow auswirken? Vergegenwärtigen Sie sich folgende Situationen und überlegen ist, ob Sie diese bislang mit »Narzissmus« in Verbindung gebracht haben.


Ereignis 1: Zwei Vertriebs- und Marketingmanager machen gemeinsam Karriere. Sie besuchen zusammen Seminare, kämpfen füreinander in Meetings und fechten miteinander gegen andere. Einer der beiden wird Bereichsvorstand, der andere wird seine rechte Hand. Da verschlechtern sich die Ergebnisse durch zwei Fehlentscheidungen dramatisch. Der Bereichsvorstand macht seinen Freund zum Bauernopfer. Er kündigt ihm, ohne auch nur mit ihm darüber zu reden.


Ereignis 2: Im Geschäftsleitermeeting wird die Produkt-Roadmap für die nächsten 12 Monate besprochen, die vom engsten Vertrauten des Geschäftsführers, dem Business-Development-Chef, ausgearbeitet wurde. Der Geschäftsführer ist begeistert. Sobald die anderen das wahrnehmen, stimmen sie in die Lobre- den mit ein. Einzig der Forschungs- und Entwicklungsleiter widerspricht und weist auf mangelnde Innovationen und die drohende Wettbewerbsschwäche hin. Der Geschäftsführer übergeht die Stellungnahme als sei nichts gewesen. Alle anderen schweigen.


Ereignis 3: Der kaufmännische Leiter eines Konzernbereichs braucht für die Vorstandssitzung eine aktuelle Analyse

des Cashflows. Die Ergebnisse, die ihm seine Mitarbeiter vorlegen, sind so, dass er sagt: »Das können wir nicht vorlegen. Der Vorstand würde uns nie glauben, dass es so schlecht ist.« Also werden die Zahlen getürkt und so dargestellt, dass der kaufmännische Leiter in den Augen des Vorstands »glaubhaft« ist.

Ereignis 4: Auf einem Führungskräfteentwicklungsworkshop erhält ein Manager klares Feedback über sein arrogantes und überhebliches Auftreten in der Gruppe und seine Unfähigkeit, auf andere einzugehen. Er lächelt erst mil- de, weil er die Feedbackgeber erkennbar nicht ernst nimmt, erklärt dann die Art des Feedbacks für unprofessionell und für schlecht begründet, und moniert, dass man sein Durchsetzungsvermögen offensichtlich nicht wahrhaben will.

Wenn man begreifen will welche innere Logik solchen Vorgängen inne- wohnt, dann geht das nur, wenn man sich mit dem Phänomen »Narzissmus« beschäftigt.


Was bedeutet »narzisstisch«?

Das Wort »narzisstisch« wird inflationär und damit unklar gebraucht. Es dient alltagssprachlich inzwischen zur Bezeichnung für alles, was mit »Sich-in-Szene- setzen«, mit überheblich oder eingebildet sein zu tun hat. Ein solch unscharfer Gebrauch eines Wortes fördert nicht unbedingt die Verständigung. Andererseits besteht in der Öffentlichkeit zu Recht eine ausgeprägte Abneigung für psychologische Diagnosen. Solche Diagnosen werden oft bewertend empfunden und werden konkreten Personen nie gerecht.


Sie sind daher falsch. Es gibt keine Narzissten! Sondern es gibt nur Menschen, die sich in unterschiedlichen seelischen Zuständen befinden und aus diesen heraus zu sehr unterschiedlichen Wahrnehmungen, Unterscheidungen und Bewertungen ihrer Lebenswelt kommen. Solche seelischen Verfassungen erlauben unterschiedliche Spielräume für persönliche Freiheit, Authentizität und Kontakt. Und natürlich auch unterschiedliche Weisen ein Unternehmen und Mitarbeiter zu führen. Diese seelische Welt kann reflektiert sein, das heißt, der betreffende Mensch weiß, wie er ist. Eine solche Welt kann jedoch auch sehr unreflektiert sein, das heißt, jemand kennt sich kaum und kann über die Tiefe seines Menschseins auch nicht sprechen. Je weniger reflektiert und sprachfähig jemand ist, desto problematischer ist das.


Es gibt viele Formen solcher innerer Welten: ängstliche, hysterische, zwanghafte und eben auch narzisstische. Es geht mir jetzt zunächst darum, ein Verständnis für diese narzisstische Innenwelt zu vermitteln und zu beschreiben, welche Besonderheiten hier anzutreffen sind. Ganz grundsätzlich kann man sagen, dass narzisstisch geprägte Menschen sich mit sich selbst eher wohl fühlen, sie sozial meist erfolgreich sind und die umfassende innere Not und den eigentlichen Schmerz ihrer Existenz kaum wahrnehmen. Was ist damit gemeint? Wie ist das möglich?

Keine Resonanz auf das eigentliche Wesen

Wenn wir Menschen sagen: »So bin ich!«, dann können wir uns irren. Wir lernen in einem gewissen Ausmaß, wie wir sind. Dieser Lernvorgang kann gelingen, indem er weitgehend unserer Persönlichkeit, unserem Wesen und unserem Temperament entspricht. Aber er kann auch scheitern, indem wir lernen, wie wir für andere sein sollten. Alle seelischen Beeinträchtigungen erwachsen aus gescheiterten Kontakt- und Beziehungserfahrungen. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie kommen als eher ruhiges, versonnenes und vorsichtiges Kind auf die Welt und landen bei einer Mutter, die Ihnen in jedem Moment des Zusammenseins vermittelt, was für ein lustiger und wilder Racker Sie sind, weil die Mutter sich immer einen solchen Jungen gewünscht hat! Ihr Selbsterleben und das, was Ihnen rückgespiegelt wird, klaffen von der ersten Sekunde Ihres Lebens ständig auseinander, weil die Mutter nicht mit Ihnen, sondern mit ihren eigenen Wünschen beschäftigt ist. Wenn so etwas passiert – und das passiert sehr oft –, wenn Kinder also keine oder wenig Resonanz auf ihr Wesen bekommen, dann lernen sie früh, sich so zu geben, wie sie sein sollen. Dabei verlieren sie nach und nach die Fähigkeit, sich selbst zu spüren und wahrzunehmen. Sie vergessen gleichsam, wer sie sind. Sie finden auf die Frage »Wer bin ich?« keine Antwort mehr, die in der Selbstwahrnehmung gründet, sondern nur noch eine, die aus der Orientierung an anderen erwächst: Wenn die Frage »Wer muss ich sein, um Aufmerksamkeit bei anderen zu bekommen?« zum Kern des täglichen Erlebens wird, nennt dies die Psychologie eine »narzisstische Problematik«. Im Gegensatz zu einem verbreiteten Missverständnis, das im Alltagsgebrauch des Wortes liegt, sind »Narzissten« nicht selbstbewusst oder von sich eingenommen (das ist nur die äußere Schale). Sie sind im Gegenteil (innerlich) sehr verunsichert, depressiv und labil. Sie wissen nicht, wie man anderen Menschen nahe kommen kann. Ihr Problem ist mangelnde Bindung. Die fehlende Liebe für das verlorene Selbst wird durch Bewunderung für das gestylte Ich ersetzt.

Wesentliche Merkmale des narzisstischen Seelenzustandes

Narzissten sind gleichsam wie Westernstädte im Film. Eine Fassade, hinter der die Wüste lebt. Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer solchen Stadt – ziemlich ungemütlich, oder? Die Freude, die ei- nem bleibt, ist, zunächst die Fassade möglichst hübsch zu machen. In der narzisstischen Innenwelt wird die Not der fehlenden Häuser mit dem Versuch bekämpft, sich attraktive Fassaden zu bauen. Frei nach dem Motto: Wenn ich schon die Wahl habe, suche ich mir zu- mindest etwas aus, das attraktiv ist. Der psychologische Druck, dieses als attraktiv empfundene Ideal zu erreichen, ist hoch: Denn, wenn nichts dahinter ist, dann müssen die Fassaden umso beeindruckender sein. Äußerer Erfolg wird zum Ersatz innerer Substanz. Daher finden sich unter narzisstisch beeinträchtigten Menschen eine große Zahl, die es tatsächlich schafft, in einem Umfeld zu leben, in dem sie als schön, erfolg- reich, reich, umschwärmt, klug und beeindruckend angesehen werden. An ihrem gebastelten Selbstideal (= Fassa- de) müssen solche Personen unerbittlich festhalten (siehe Beispiel 3), droht doch andernfalls die Wahrnehmung der eigenen inneren Leere, Einsamkeit und Orientierungslosigkeit (= Wüste). Sie werden also vom jeweiligen Umfeld sehr abhängig, da sie es als Spiegel brauchen, der ihnen täglich sagt, wer der oder die Schönste und Klügste im Lande ist. Er- folg und seine Attribute werden zum Suchtmittel.


Da narzisstisch beeinträchtigte Menschen ihre innere Realität verloren und durch eine künstliche ersetzt haben, beginnt zwangsläufig auch in der äußeren Realität ein Verlust an Wahrnehmung und eine Leugnung von störenden Elementen einzusetzen (siehe Beispiel 2). So können Rückmeldungen, Feedback, Spiegelungen, die dem Selbstideal nicht entsprechen, schlecht akzeptiert wer- den (siehe Beispiel 4). Alles, was das Ideal der eigenen Person gefährdet, ist bedrohlich. Soziale Ereignisse, wie Prüfungen, Beförderungen, Partnerwahl und Ähnliches, werden nicht als solche behandelt, sondern als Urteil darüber, wer man ist. Sie werden in Erfolgs- und Misserfolgsereignisse eingeteilt.

Erfolg bedeutet dann: »Ich bin toll, gut und richtig.« Misserfolg bedeutet:


»Ich habe versagt.« Alles Geschehen wird dadurch in einem hohen Ausmaß selbstwertrelevant. Innerhalb des narzisstischen Erlebens ist es nicht möglich, sich mit seinen Verhaltensfehlern zu beschäftigen, ohne sich als Versager zu fühlen. Es entsteht ein starker Druck, sich eine Umwelt zu basteln, die einen vor Fehlern beziehungsweise vor Kritik verschont.


Verlust an Wahrnehmung

Der daraus resultierende Druck, bewundert werden zu müssen, führt dazu, dass alle Personen, die kritisch sind oder abweichende Meinungen vertreten, in ein feindliches Lager sortiert werden. Kritiker werden abgewertet oder aus dem Beziehungsfeld entfernt (siehe Beispiele 1 und 4). Die äußere Welt spaltet sich auf in »Gute« und »Schlechte«. Die enorme Kränkbarkeit solcher Menschen erwächst aus diesem Kontext und lässt es ihnen schwer fallen, erfahrene Kränkungen zu verarbeiten. Ein Narzisst vergisst nie.

Aus dem gleichen Grunde wird Hilfe kaum akzeptiert. Sie wird rundweg abgelehnt. Dies liegt zunächst einmal darin begründet, dass mit dem Eingestehen der eigenen Hilfsbedürftigkeit auch das Ich-Ideal bedroht ist. Die damit verbundene Kränkung und Scham wird so vermieden. Weiterhin besteht meist Angst vor der neuerlichen Erfahrung, dass im Zusammensein mit anderen es immer um den anderen, nie um einen selbst geht. »Alle wollen immer etwas von mir und haben irgendwelche Absichten. Ich selbst bin ihnen doch gar nicht wichtig!«, ist ein Ausspruch, den man dann häufig hören kann, wenn Narzissten anfangen, sich wieder selbst zu spüren. Diese Angst vor Ausbeutung und Übersehenwerden verhindert das Zustandekommen wirklich enger und emotional naher Beziehungen. Niemand darf wirklich wichtig werden. Bisweilen wird erst nach extremen Lebenssituationen (Krankheiten, berufliches Scheitern, Unfälle, Beziehungsabbrüche) Hilfe gesucht.


Chronische innere Einsamkeit

Das Nicht-Suchen von Hilfe steht in scheinbar direktem Widerspruch zu der enormen inneren Not, die solche Menschen quält. Die innere Leere, die sich einstellt, wenn man sich selbst nicht wirklich spüren kann, führt zu Kompensationsmitteln. Konsum, Statussymbole, Drogen, Öffentlichkeitssuche, permanente Suche nach dem ultimativen Kick sind nur einige davon. Der Mangel an Beziehungsfähigkeit führt zu chronischer innerer Einsamkeit. Verdeckte Formen des Suizids, etwa extrem schnelles Autofahren, sind daher immer wieder zu beobachten. In der narzisstischen Erlebniswelt entwickelt man fast zwangs- läufig intensive Neidgefühle auf alle Menschen, von denen man spürt, dass diese »wirklich« sind. Man spürt genau, wenn jemand aus inneren Kraftquellen und kreativen Potenzialen schöpft und nicht nur nachahmt oder einen Schein erzeugt.

Dies führt in Führungspositionen unmittelbar dazu, dass keine wirklich fähigen Mitarbeiter oder Kollegen in der näheren Umgebung geduldet werden können. Führungskräfte mit narzisstischen Erlebniswelten umgeben sich häufig mit Personen, die sie fördern können, die von ihnen lernen, oder die ih-nen nicht gefährlich werden können. Ein Unternehmen oder Projekt strategisch mit einer total begeisterten Gruppe auf-zuziehen, ist folglich etwas, das sie sehr anzieht (und was sie meist gut können).


Alte Weggefährten abserviert

Durch den Verlust der eigenen Selbstwahrnehmung können sich integrierte Formen von Aggressivität nicht mehr entwickeln. Eine integrierte Aggressivität zeichnet sich dadurch aus, dass aggressive Impulse immer mit wohlwollenden und wertschätzenden Gefühlen gepaart sind: Ich ärgere mich über das Verhalten und schätze den Menschen. Ich tue jemand unwissentlich weh und ich spüre Bedauern, wenn ich es wahr- nehme. Ich kritisiere jemanden, um die Beziehung zu verbessern und nicht um ihn klein zu machen. Narzissten können Bindungsimpulse und Wertschätzung für andere nur solange spüren, solange diese sie bewundern und mögen. Ist das nicht mehr gegeben, spüren sie nur noch Wut, Hass und Ablehnung. Alles Positive ist verschwunden – im eigenen Empfinden und im Bild, das man vom anderen hat. Daher sind sie in der Lage, sich mit destruktiven und schädigenden Formen eigenen aggressiven Verhaltens wohl zu fühlen und dies ohne weiteres vor sich und anderen zu rechtfertigen. So können sie mit wenig oder ohne Skrupel auch langjährige Weggefährten von jetzt auf gleich fallen lassen (siehe Bei- spiel 1). Speziell diese Verhaltensweise macht das Zusammenleben mit solchen Menschen nicht einfach. Menschen, die in narzisstischen Nöten stecken, leiden nicht, sie lassen leiden.


Weil Narzissten ihre eigentliche Begabung nicht kennen, fangen sie häufig an, ihre Umwelt auszubeuten. Sie »plündern« die Kompetenz anderer: Sie schmücken sich gern mit fremden Federn, sie lassen andere für sich arbeiten und sehen die Mühen anderer Leute als selbstverständlich an. Sie empfinden kaum Dankbarkeit, weil Dank sie daran erinnern würde, dass andere etwas haben, das ihnen selbst fehlt. Sie haben Angst vor Nähe, weil ihre Leere und Gewöhnlichkeit »entdeckt« werden könnten. Die Angst davor, dass der selbst erzeugte Schein zusammenbricht, der andere merkt, wie man wirklich ist, und die Angst, vom anderen dominiert zu werden, charakterisieren das Innenleben (siehe Beispiel 3). Eine Form der Kommunikation, in der Emotionen und Unsicherheiten weitgehend getilgt sind, beherrscht daher den Alltag. In der Auswahl von Mitarbeitern werden Sekundärfaktoren wie Sympathie oder kompetenzferne Beziehungskontexte (Klassen- oder Vereinskameraden, Netzwerke, Seilschaften, Korps, Verwandtschaft) oft die alleinigen Beschäftigungsgründe. Menschen, die in narzisstischen Erlebniswelten stecken, fallen ihrerseits besonders leicht auf »Blender« herein. Sie fördern mit Vorliebe Personen, die ihnen ähneln – meist »eine Nummer kleiner«. Andere sollen so werden, wie es ihrem eigenen Ideal entspricht.

Zusammengefasst dreht sich die gesamte Not der narzisstischen Welt um Folgendes: Das wesentliche Merkmal von »Narzissten« ist nicht ihr Hunger nach Selbstbestätigung, sondern die Grunderfahrung des Allein- und Missverstanden-Seins. Bindung und Nähe werden als Vereinnahmung und Fremdbestimmung erlebt. Persönliches Echo und sich als Mensch gemeint fühlen sind ihnen unbekannt. Isolation und innere Einsamkeit prägen das Erleben. Beziehungen sind oberflächlich möglich, solange sie nicht zu konflikthaft und fordernd werden. Je abhängiger die anderen sind, desto leichter fallen Kontakte. Da andere Menschen nicht wirklich wichtig werden dürfen und können, kreist das Leben um die eigene Person und die Steigerung des Ansehens. Karriere, Erfolg und Prestige werden zum Mittel, das die innere Leere ausfüllt. Die Angst davor, sich dies alles einzugestehen, ist unermesslich. (Diese Serie wird im nächsten Heft fortgesetzt.)


Klaus Eidenschink

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